Pricing Neue Regeln für den richtigen Preis

Die Sensibilität der Kunden steigt. Alte Preispunkte sind tot. Vollsortimenter müssen handeln, wenn sie Aldi Paroli bieten wollen. Aber nicht um jeden Preis.

Freitag, 24. Februar 2023 - Management
Matthias Mahr
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Das Preisimage spielt für den Handel besonders in Deutschland seit jeher eine bedeutende Rolle. In Inflationszeiten mehr denn je. Wenn Geld weniger wert ist, schalten die Verbraucher auf eine grundlegende Sparstrategie um: Eigenmarken ersetzen Marken im Einkaufswagen, und der Einkaufswagen rollt vom Vollsortimenter zum Discounter. Diese Verhaltensänderung im Konsum ist in den zurückliegenden sechs bis zwölf Monaten bei Edeka, Rewe und Tegut spürbar angekommen. Die Marktanteilsverschiebungen sprechen Klartext: Im vergangenen Jahr erwirtschafteten Discounter einen Anteil in Höhe von 36,9 Prozent am Gesamtumsatz des Lebensmitteleinzelhandels in Deutschland. Damit konnten sie 2022 weiter an Marktmacht gewinnen. 2021 lag der Umsatzanteil dieser Vertriebsschiene noch bei 34,8 Prozent. Zudem ist 2022 das Jahr der Handelsmarken gewesen. Die Zahlen des GfK Consumer Index 12/2022 sind eindeutig: Der Handelsmarkenanteil stieg im zurückliegenden Jahr im Vergleich zum Vorjahr um 2,6 Punkte auf nunmehr 43,2 Prozent an. „Wer sparen will, muss sich bücken“ ist ein Spruch, der in multiplen Krisenzeiten ganz besonders gilt und nichts anderes verheißt als den Kampf ums Preiseinstiegssegment im Lebensmitteleinzelhandel. Derzeit hat die Inflation an Schwung verloren, und schon gibt es die ersten Signale, dass 2023 das Jahr der Rabattschlachten werden könnte, meldet die Unternehmensberatung Simon-Kucher . Die Ausgangslage ist klar umrissen: Die Lagerbestände sind bei Händlern sowie Herstellern hoch, und die Konsumenten sind aufgrund der hohen Inflation und stagnierender beziehungsweise sinkender Realeinkommen preissensibel wie nie zuvor.

Preis- und Inflationstrend steigen noch an
Es gibt sogenannte imagebildende Anker-Produkte. Zu diesen Eckartikeln zählen etwa Mehl, Milch, Butter, Schokolade und Kaffee. Die Kunden wissen, was diese Produkte kosten. Wenn die Preise steigen, merken sie es sofort. Im Bereich der digitalen Handelskommunikation ist die Springer-Tochter Bonial mit ihren Apps und Plattformen „Kaufda“ sowie „Mein Prospekt“ nicht bloßer Ersatz für den analogen Handzettel, sondern auch in der Lage, Preis sowie Nachfrage nach einem Artikel im Zeitverlauf zu verfolgen und auch zu modellieren. Auf Anfrage der LP hat Bonial in der siebten Kalenderwoche des aktuellen Jahres Millionen Datenpunkte und Tausende LEH-Produkte in den Vertriebsschienen Supermärkte, Discounter und Getränkemärkte verglichen und dabei Tausende exakte Übereinstimmungen bei Marke, Beschreibung sowie Größe gefunden, die einen validen Vergleich möglich machen. „Von diesen übereinstimmenden Angeboten sind 58 Prozent der Produkte teurer und 42 Prozent günstiger geworden“, berichtet Florian Reinartz, Chief Commercial Officer bei Bonial. Vergleichsmonate waren hier Dezember 2022 und Januar sowie Februar 2023. Sein Fazit: Der Preis- und Inflationstrend bei Lebensmitteln ist grundsätzlich noch ansteigend. Ein paar Beispiele von Ankerprodukten bekannter Hersteller zeigen exemplarisch die Preisentwicklung eines Jahres, die natürlich sehr eng mit den Rabattaktionen der Händler im Vergleichszeitraum zusammenhängt: Milka-Schokolade kostete vor genau einem Jahr 1,24 Euro und heute 1,29 Euro. Massiver stieg der Preis bei Nivea-Duschgel. Vor 12 Monaten wurden hier 1,39 Euro fällig, aktuell sind es 1,85 Euro. Ähnlich deutlich verlaufen die Preissteigerungen bei Milchprodukten: Der Liter H-Milch bei Weihenstephan stieg im Preis um 21 Cent auf nunmehr 1,20 Euro. Und bei Landliebe-Butter lag der Stückpreis vor einem Jahr noch bei 1,79 Euro und zuletzt bei 2,19 Euro. Bei Landliebe fällt in der Grafik unten auf dieser Seite auf: Die Preise scheinen den Zenit erreicht zu haben, seit November geben sie nicht nur bei Butter nach.

-33,9 %

Prozent sagt der GfK-Konsumklima-Index für Februar voraus.

2,8 %

Prozent verliert der Vollsortimenter 2022 nach GfK-Angaben beim Bon-Ertrag.

Preissensible Kunden dauerhaft aktivieren

2022 sind die Preise der Eigenmarken durch die hohen Inflationsraten und gestiegenen Herstellungskosten ebenfalls angestiegen. Der Preisunterschied zu den Markenprodukten war trotzdem groß genug, um die Differenz seitens des Handels kommunikativ zu nutzen. 2023 ändert sich das Bild nach Daten von Bonial: Der Handel kann besonders bei den Eigenmarken eine eigene Preisstrategie durchsetzen. Der Preissturz bei Butter und weiteren Milchprodukten sowie Kaffee zeigt, dass der Discount mit dauerhaft reduzierten Preisen die preissensiblen Kunden aktivieren und die Preisführerschaft demonstrieren will.

Die Preisführerschaft muss gewahrt werden
Seit Februar purzeln die Preise bei Butter. Aldi setzte mit der Eigenmarke Milsani eine Duftmarke. Günstiger als ein Jahr zuvor lag die deutsche Markenbutter für 1,59 Euro im Kühlregal des Discount-Primus. Als schließlich Kaufland bei der Kaffee-Eigenmarke „K-classic Kaffee Gold“ den Preis der 500-Gramm-Packung von 4,99 Euro auf 4,49 Euro senkte und zur Attacke blies, zogen Aldi Nord und Süd bei den Eigenmarken massiv nach. Preisführerschaft kostet und spült den Verbrauchern glatte 20 Prozent in die Tasche. Bei 3,99 Euro wurde der Preis bei den Kaffee-Eigenmarken des Discounters neu verankert, Norma folgte dem großen Bruder unmittelbar und ließ sich das ebenfalls einen Euro je Packung kosten.

Und wie positionieren sich jetzt die Vollsortimenter im Kampf um das Preiseinstiegssegment? Manuel Wätjen ist Experte für Preis-, Produkt- und Portfoliostrategien bei Vocatus, er rät: „Die Kunden gehen zum Original, wenn sie zum Discounter wollen. Es ist sinnvoll, jenseits der Preismaßnahmen zu denken und die Aufmerksamkeit auf Produkte zu lenken.“ Wätjen hält nichts davon, jetzt auf Rabatte und Promotions zu setzen. Das sei eine Art Droge, die aus Kunden Schnäppchenjäger mache. Jetzt müssten Aktionen systematisch geplant werden, um Impulskäufe auszulösen, die sonst nicht gemacht würden.

Dr. Tobias Maria Günter, Partner bei Simon-Kucher, betont: „Derzeit geht es für die Vollsortimenter ums Frequenzziehen. Will ich Umsatz optimieren oder die Kundenzahl hochhalten, lautet jetzt die Frage. Customer Development ist eine Kunst, deshalb bin ich doch Vollsortimenter!“ Frei übersetzt, sagt er: Einen Kunden zu verlieren sei unfassbar teuer. Jetzt sei die Stunde, unter anderem die Promotions richtig zu machen. Gezielt und nicht mit der Gießkanne. Die Kunst sei es, auf schlechte Promotions zu verzichten. Auf hohe 30 Prozent bezifferte Günter die Zahl der Promotions ohne Uplift. Vollsortiment heiße doch: vom Preiseinstieg bis zur Kompetenz für Premium alles auf der Fläche zu haben. Diese Chance müsse ergriffen werden.

Was wundert: Die Käuferwanderung hin zum Discount ist kein neues Phänomen, das gab es auch schon zur Finanzkrise 2008. Was heute anders ist: Die Krisen sind multiple und die Inflation bleibt dauerhaft hoch im Vergleich zu früheren Jahren. Eine Rückkehr zu Vor-Corona-Zeiten erwartet der Handelsexperte nicht. Das sei eine Utopie. Simon-Kucher hat die Welt des Supermarktes in Algorithmen gepackt und kennt die Veränderungen auf dem Kassenbon genau. Dr. Günter weiß, der Anstieg der Schnäppchenjäger ist momentan ungebremst, der Kampf um Kundensegmente geht weiter.

Kunden wollen fair behandelt werden
„In jedem Edeka steckt ein Discounter“, heißt die Losung aus der Hamburger Zentrale, die zudem hart mit Markenartiklern um die Preise ringt und auch vor Auslistungen nicht zurückschreckt. „Ich würde Handel und Herstellern empfehlen, sich nicht gegeneinander auszuspielen“, meint Branchenkenner Wätjen. Der Verbraucher schätze das meist nicht und reagiere verunsichert. Besser sei es doch, dem Kunden gemeinsam zu zeigen, warum Produkte im Preis steigen. Eine transparente Kommunikation wirtschaftlicher Notwendigkeiten sei vertrauensbildender. „Kunden wollen fair behandelt werden!“, hebt der Vocatus-Manager hervor. Das Signal, das Edeka mit den Preisverhandlungen senden will, ist klar: Die Edeka setzt sich in schwierigen Zeiten für ihre Kunden ein. Handelskenner Günter bricht an dieser Stelle eine Lanze für den deutschen Handel: „Alle großen Händler sehen sich in einer sozialen Verantwortung und Versorgerfunktion. Die möchten den Kunden Gutes tun und wollen keinesfalls die Zahlungsbereitschaft der Verbraucher ausnutzen.“

Allerdings: In Auslistungen sieht Günter keinen guten Weg. Ein Vollsortimenter lebe von Preiseinstiegslagen bis zu Marken. Mit „Gut und günstig“ hat Edeka ein breites Eigenmarkenangebot. Was aber, wenn der Kunde etwa die Tiernahrung von Purina nicht im Regal findet und geht? Die Antwort liefert eine Studie der Dualen Hochschule Baden-Württemberg vom August: Bei Tiernahrung und Kosmetikprodukten oder auch weiteren Near-Food-Artikeln wie Frischhaltefolie suchen die Kunden einen anderen Anbieter im Falle einer Out-of-Stock-Situation auf. Das ist ein gutes Szenario in schwierigen Zeiten.

Zeitenwende: Hoffen auf bessere Tage

Während der Pandemie sind viele Discount-Shopper schnell noch zum Supermarkt gegangen, um sich etwas zu gönnen. 2022 hat sich das Verhalten umgekehrt. Seither gehen viele loyale Shopper der LEH-Food-Vollsortimenter auch noch zum Discounter, um den Einkaufskorb mit günstigeren Produkten aufzufüllen, heißt es im Gfk Consumer Index 12/2022. Die Bedarfsdeckung über die LEH-Food-Vollsortimenter ging um 1,9 Prozent zurück, während sie über die Discounter um 5,3 Prozent stieg, sagen die Zahlen der Nürnberger Marktforscher. Doch am Horizont tauchen erste Silberstreifen auf: Der GfK-Konsumindex hellt sich auf, die Inflationsspirale dreht langsamer und die Anschaffungsneigung der Shopper nimmt wieder zu.

63 %

richten wegen der Inflation ihr Kaufverhalten an Preisen aus, hat Bonial auf Basis von 1.003 Interviews ermittelt. 22 Prozent der Befragten kaufen nur noch das Nötigste.

59 %

der Bonial-Befragten betonten im Januar, wieder offen für größere Anschaffungen zu sein. Im Mai 2022 sagten noch 78 Prozent, größere Anschaffungen verschieben zu wollen.

93 %

gaben an, dass ihr digitales Informationsverhalten deutlich ausgeprägter ist. Ein Jahr zuvor hatten sich laut Bonial noch 6 Prozent weniger online über Angebote informiert.