Veggie-Markt Die Krise schadet Veggie nicht

Veggie wird im nächsten Jahr die Milliardengrenze auf dem deutschen Markt überschreiten, wie Berater Godo Röben (Foto) im Interview erläutert.

Freitag, 21. Oktober 2022 - Management
Jens Hertling
Artikelbild Die Krise schadet Veggie nicht
Bildquelle: Röben

Der Umsatz an Frischetheken und mit teuren Fleischprodukten geht seit Ausbruch des Krieges zurück, Veggie-Produkte sollen davon profitieren. Wie ist Ihre Einschätzung?
Godo Röben:
Aktuell ist es so, dass die Veggie-Produkte noch teuer sind. Ich gehe klar davon aus, dass die Produkte weiterhin einen großen Zulauf haben und im Absatz weiter steigen werden. Es könnte wegen der starken Inflation auch kleinere Absatzdellen geben.

Können Sie das näher erläutern?
Viele Menschen kaufen im Moment günstige Lebensmittel. Ich gehe davon aus, dass auch im Veggie-Bereich die Handelsmarken von dem kurzzeitigen Trend profitieren. Ich bin optimistisch, dass die Veggie-Produkte ihr Wachstum in der nächsten Zeit fortsetzen werden.

Welches sind für die Hersteller von Veggie-Produkten die unternehmerischen Herausforderungen?
Ein großes Problem sind die Kosten, die überall gestiegen sind. Gleichzeitig spielt die Frage der Rohstoffsicherheit eine entscheidende Rolle. Eine Herausforderung ist die Geschwindigkeit, mit der sich der Markt entwickelt.

Was meinen Sie damit?
Die Produkte werden in einem kürzeren Zeitraum entwickelt und werden immer besser. Vor allem der Geschmack verändert sich bei vielen Produkten rasant, die Produkte erreichen immer mehr den Massengeschmack. Meine Schätzungen gehen aber dahin, dass 80 Prozent aller pflanzlichen Ersatzprodukte in allen Kategorien im Geschmack noch nicht zufriedenstellend sind.

Wie sieht die Energiebilanz aus?
Wenn wir die Gesamtenergiebilanz und den Ressourcenverbrauch der Produkte anschauen, vom Feld bis zum Verbraucher, haben die Veggie-Produkte eine 50 Prozent bessere Energiebelastung als zum Beispiel tierische Produkte.

Das heißt, dass die Krise gut für die Veggie-Produkte-Entwicklung ist …
Ja, wenn wir die Energiebilanz sehen, ist das auf jeden Fall ein Pluspunkt. Die Hersteller benötigen viel weniger Energie im Gesamtkreislauf – nicht in der Herstellung.

Neue Entwicklungen sind kostenintensiv, Investoren werden vorsichtiger. Ist genügend Geld im Markt, um Veggie weiterzuentwickeln?
Ja, aber komplett übertriebene Preise sind jetzt Geschichte. Mondpreise werden nicht mehr bezahlt, die Investoren werden realistischer.

Der Fleischersatzmarkt hat im Moment einen Anteil am Fleischmarkt von rund 3 Prozent. Wann wird er zweistellig sein oder die Milliardengrenze überschreiten?
Im nächsten Jahr werden wir die Milliardengrenze überschreiten. In diesem Jahr beträgt das Marktvolumen etwa 800 Millionen Euro. Die Politik wird schnell auch bei der Ernährungswende regulierend eingreifen. Dann wird das Segment rasch auf 10 bis 20 Prozent Anteil kommen. Das bedeutet, dass der Umsatz mit Fleischalternativen in weiteren sechs bis sieben Jahren bei 5 Milliarden Euro sein wird.

Welche Rolle hat die Pandemie dabei gespielt?
Während der Pandemie haben alternative Proteine stark an Beliebtheit gewonnen. Beim Essen zu Hause wurde vielen Kunden erst bewusst, was sie zu sich nehmen.

Wann wird die Preisparität erreicht sein?
Im nächsten Jahr werden Fleischersatzprodukte genauso viel wie vergleichbare Fleischprodukte kosten. In den folgenden Jahren wird der Preis der Veggie-Produkte sinken, und sie werden günstiger als die Originalprodukte sein.

Welche Rolle spielt die Politik dabei?
In den nächsten drei Jahren wird die Politik wie bei der Mobilitäts-, Energie-, Agrar- und Ernährungswende die Veggie-Produkte fördern und damit für den Massenmarkt tauglich machen. Die Politik hat damit einen Hebel in der Hand, um das Thema „Veggie-Ernährung“ weiter vorwärtszubringen.

Können Sie eine Prognose geben, wann der Anteil der Ersatzprodukte an den Fleischprodukten die Hälfte betragen wird?
Wenn die Prognosen der Forscher eintreffen und wir mehrere Sommer mit Temperaturen über 40 Grad Celsius erleben, könnte die Politik schneller eingreifen als bisher. Gut möglich, dass dann bereits innerhalb eines Jahrzehntes die Schwelle von 50 Prozent Anteil pflanzlicher Alternativen am deutschen Fleischmarkt erreicht wird.

Ist Veggie immer noch eine Nische?
Ja. Alle Experten sind sich dabei einig, dass dies ein Markt ist, der bleiben und wachsen wird. Die einzige unsichere Komponente ist die Zeit, in der sich der Markt entfalten wird.

Werden in Zukunft alle Fleisch- und Wurstunternehmen Veggie-Produkte herstellen?
Definitiv ja. Wer sein Unternehmen zukunftssicher aufstellen will, kommt um diese unternehmerische Entscheidung nicht mehr herum. Viele Hersteller haben begriffen, dass Veggie in Zukunft dauerhaft einen Anteil haben wird.

Wird Veggie langfristig Fleisch verdrängen?
Ja, eines Tages wird dies eintreten. In 50 Jahren werden wir bei einem fleischlosen Anteil von 90 Prozent sein. Die restlichen 10 Prozent der tierischen Produkte werden unter strengen Tierwohlkriterien erzeugt werden. In 50 Jahren haben wir keine Massentierhaltung mehr.

Welche neuen Verfahren zur Herstellung werden sich durchsetzen?
Fermentation ist ein Verfahren, das für die Zukunft wichtig ist. Die Fermentierung ist ein Verfahren, bei dem Bakterien- oder Pilzkulturen Lebensmittel besiedeln und Verschiedenes bewirken können. Durch Fermentation kann insbesondere die Konsistenz von Produkten deutlich verbessert werden.

Was außerdem?
Ich sehe den Trend, Veggie-Alternativen ohne Zusatzstoffe und mit einem noch besseren Geschmackserlebnis auf den Markt zu bringen. Der kommende Megatrend heißt Healthy Living. Wer sich da mit leckeren und gesunden Fleischalternativen positioniert, hat gute Wachstumschancen.

Welche neuen Produktkonzepte könnten einen Trend auslösen?
Hybridprodukte sind auf jeden Fall ein weiteres Thema. Diese Hybridprodukte, die zu einem Großteil aus pflanzlichen Rohstoffen hergestellt werden, bekommen als Geschmacksbooster einen Teil Cultured Meat hinzu.

Wie wichtig sind Veggie-Produkte zur Etablierung eines Händlers?
Für den Händler sind alternative Proteine ein Profilierungsthema. Wichtig ist, dass der Händler Folgendes beachtet: Die Verbraucher werden die Produkte nur kaufen, wenn sie gut aussehen und schmecken. In den nächsten zwei Jahren wird der Handel seine Bedien-Theken mit Veggie-Theken ausrüsten.

Wie sollten Händler die Veggie-Produkte promoten?
Ich empfehle die Produkte auffällig zu platzieren und sie auch zum Beispiel in den Handzetteln zu bewerben. Wichtig ist vor allem eine Blockplatzierung. Die Händler sollten auf jeden Fall mutig sein und Durchhaltevermögen besitzen.

Wie ernähren Sie sich selbst?
Ich sehe mich als Flexitarier. Ich esse gern Fleisch, aber nicht jeden Tag. Die Fleischersatzprodukte, die es heute schon im Markt gibt, haben eine gute Qualität. Beim Geschmack ist noch Luft nach oben …

Zur Person

Godo Röben prägte als langjähriger Geschäftsführer der Rügenwalder Mühle die Transformation des Unternehmens vom Fleischveredler zum Hersteller von pflanzlichen Alternativen zur Wurst. Seit seinem Ausstieg bei der Rügenwalder Mühle im Jahr 2022 engagiert sich der 53-Jährige zu 100 Prozent für die alternativen Proteine. Sei es als Aufsichts- und Beirat in der Old Economy bei der Privatmolkerei Bauer, beim Heimtierfutterhersteller Landguth oder bei Deutschlands zweitgrößtem Fleisch- und Wursthersteller, der InFamilyFoods, oder als Business-Angel und Investor bei veganen Food-Start-ups wie Perfeggt (veganes Ei).
Röben ist ebenfalls Vorstand im Balpro (Verband für Alternative Proteinquellen).