50 Jahre Lidl! Wie sehr sich die Welt der Discounter in dieser Zeit geändert hat, zeigt auch ihre neue Offenheit. Man gibt sich locker, cool, jugendlich. Dafür steht auch Christoph Graf, Geschäftsleiter Einkauf.
50 Jahre Lidl, 50 Jahre Preisorientierung – jetzt ist Zeit für neue Einkaufsargumente!
Christoph Graf: Durchaus, ja. Als wir 1973 die erste Filiale in Ludwigshafen-Mundenheim eröffnet haben, sah der Lebensmitteleinzelhandel ganz anders aus. Heute findet der Kunde bei uns mehr als bei einem klassischen Discounter. Wir bieten ein Frischesortiment, das beispielsweise Obst und Gemüse, Frischfisch und -fleisch sowie Backwaren umfasst, und greifen Trends wie Vegan oder Bio auf. Wir haben fast alles, was der Supermarkt bietet, und entwickeln uns kontinuierlich weiter – ohne die Lidl-DNA zu verlieren.
Nach 50 Jahren unterscheiden sich moderne Lidl-Märkte kaum vom Supermarkt.
Das stimmt, aber es gibt Unterschiede in der Sortimentstiefe und -breite. Wir haben ein kleineres Sortiment, weil wir nicht jede Referenz fünfmal belegen. Zudem verfolgen wir eine klare Eigenmarkenstrategie. Unsere Eigenmarken zu stärken und weiterzuentwickeln, ist Teil unserer DNA. Heute liegt der Eigenmarkenanteil bei 75 Prozent des Gesamtsortiments. Der Kunde schätzt es sehr, dass er hier eine Top-Leistung zum Top-Preis bekommt.
In 50 Jahren hat sich Lidl vom Unternehmen mit Misstrauen gegenüber Mitarbeitern zum besten Arbeitgeber im Handel entwickelt.
Wir sind bescheiden. Laut unabhängigem „Top Employer Institute“ gehören wir zumindest zu den besten Arbeitgebern des Landes. Für herausragende Mitarbeiterorientierung erhielten wir kürzlich die Auszeichnung „Top Employers 2023“. In jedem Fall sind wir viel offener geworden. Das „Du“ im Berufsalltag ist ernst gemeint und hilft in der Kommunikation. Ein positives Arbeitsumfeld und ein ausgeprägter Teamgeist machen den Kern der Arbeitgeberidentität von Lidl aus – deswegen verstehen wir uns stolz als Team Lidl.
Die von Lidl angestrebte „Förderung gesunder Ernährung“ ist eine Werbemaßnahme zur Erschließung neuer Kundenkreise.
Da bin ich anderer Ansicht. Das ist eine Überzeugung, die wir gegenüber einer Herausforderung haben, die nicht nur in Deutschland, sondern weltweit besteht. Angesichts sich ändernder klimatischer Verhältnisse, des zunehmenden Verlusts an Biodiversität sowie der damit verbundenen Folgen für die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen stehen auch wir als Handelsunternehmen in der Verantwortung, innerhalb der Grenzen unseres Planeten zu wirtschaften. Diesen Herausforderungen wollen wir mit der Lidl-Strategie „Bewusste Ernährung“ begegnen und setzen uns diesbezüglich ganzheitliche, verbindliche Ziele.
Konsequent ist das aber nicht: Süßigkeiten, alkoholische Getränke oder kalorienreiche Lebensmittel bleiben im Sortiment.
Wir pflegen keine Verbotskultur. Im Handlungsfeld eines gesunden Lebensstils verfolgen wir einen ganzheitlichen Reduktionsansatz bei Zucker, Salz, gesättigten Fettsäuren, Energiedichte, Aromen sowie Konservierungs- und Farbstoffen. Zudem erhöhen wir sukzessive den Vollkornanteil sowie das Vollkornsortiment in unserem Eigenmarkensortiment. Grundsätzlich wird der Grundstein für eine gesunde Ernährung bereits im Kindesalter gelegt. Daher wenden wir uns in einem ersten Schritt besonders an eine Kundengruppe, die noch positiv beeinflussbar ist.
Die „Planetary Health Diet“ ist für uns ...
... essenziell. Sie ist die Basis für unsere bewusstere Ernährungsstrategie.
Alle Lidl-Eigenmarken werden daran gemessen.
Das ist unser Anspruch. Wir haben bereits mit süßen Produkten angefangen und verbessern uns sukzessive: Zuckerreduktion, weniger Fett, weniger Zusatzstoffe. Da gilt es, noch einige Schritte zu gehen.
Marken im Discount sind reine Lockvögel.
Marken sind wichtig, damit wir dem Kunden zeigen können: Du hast die Wahl. Unsere Priorität liegt bei Eigenmarken. Sie machen den Großteil unseres Sortiments aus. Mit dem richtigen Mix aus Marken- und Eigenmarkenprodukten decken wir die Bedürfnisse unserer Kunden maximal ab.
In Deutschland ist kein Platz für fünf Discounter. In 10 Jahren gibt es noch ...
Das lässt sich nur schwer prognostizieren. Ein Vorteil der aktuellen Handelsstruktur ist vor allem der gegenseitige Wettbewerb.
Die Konzentration im deutschen LEH hat in den letzten 50 Jahren enorm zugenommen. Bei den „großen Vier“ ist eine weitere Konzentration nicht vorstellbar.
Eine weitere Konzentration wäre auch schwierig. Das sind alles Konkurrenten, die versuchen, Märkte für sich zu besetzen. Und diese agieren nicht immer auf demselben Feld. Ich bin überzeugt, dass wir den Lebensmitteleinzelhandel, so wie er jetzt ist, noch eine Weile sehen werden.
Der Unterschied zwischen Discount und Vollsortimenter wird weiter zurückgehen.
Als Frische-Discounter muss man immer überlegen, welches Format man zusätzlich in sein Sortiment aufnimmt und trotzdem noch einfach bleibt. Das ist das Manifest für unsere Strategie: die beste Qualität zum besten Preis-Leistungs-Verhältnis, ein angenehm einfaches Kundenerlebnis in Verbindung mit schlanken Prozessen und Strukturen. Das gilt für jeden zusätzlichen Baustein. Ist das Kundeninteresse so hoch, dass wir mehr Menschen ansprechen und den Prozess weiterentwickeln können – Beispiel Bake-off –, dann setzen wir neue Themen um.
Hätte man vor 10 Jahren bei Frischware auch so gedacht ...
Wir haben uns damals schon die Frage gestellt: In welchen Bereichen können wir uns noch verbessern? Warum geht der Kunde zum Supermarkt und nicht zu uns? Heute ist diese Frage viel schwieriger zu beantworten, denn er bekommt bei uns alles für den täglichen Bedarf. Die Hürde ist jetzt für neue Formate höher.
Zur Person
Christoph Graf ist seit 2012 in unterschiedlichen Funktionen bei Lidl tätig. Zunächst war er im internationalen Einkauf aktiv, wechselte im September 2021 zu Lidl Deutschland und ist auch stellvertretendes Geschäftsleitungsmitglied.
