Mobiler Handel Angst vor der Abwärtsspirale

Wochenmärkte haben in Deutschland inzwischen einen schweren Stand und verlieren deutlich an Umsatz: ein Grund zur Freude für den LEH ?

Dienstag, 16. April 2024 - Management
Thomas Klaus
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Lang ist die Wochenmarkttradition in Hamburg, sehr lang: Allein der legendäre Fischmarkt bringt es auf 320 Jahre. Doch die Tradition ist in Gefahr geraten. Der Landesverband des Ambulanten Gewerbes und der Schausteller Hamburg (LAGS) schlägt Alarm und fordert Rückendeckung von der Politik für die laut Touristikgesellschaft rund 100 Wochenmärkte. Die CDU im Landesparlament, der Bürgerschaft, hat deshalb mehrere Anträge unter der Überschrift „Hamburgs Wochenmärkte retten!“ gestellt. Finanzielle Förderung solle geprüft und Bürokratie abgebaut werden, schlagen die Christdemokraten darin vor. In Sachen Bürokratie lässt sich LAGS-Präsident Wilfried Thal beim Aufzählen von Kritikpunkten kaum stoppen. Unter anderem führt er hohe Sondernutzungsgebühren, teure Verkehrssicherungen und immer mehr Sicherheitsanforderungen ins Feld. Nicht zuletzt überfrachteten die Gesetze der Europäischen Union die regionalen Betriebe.

Dass die Wochenmärkte unter Druck stehen ist kein Phänomen der Elbmetropole, sondern ein bundesweites. Nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes gingen die Umsätze auf den 3.500 Wochenmärkten in Deutschland im vergangenen Jahr um satte 6,5 Prozent zurück. In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel betrug das Minus sogar mehr als 10 Prozent.

Zahl der Beschicker nimmt ab
Olaf Lenz, Sprecher des Bundesverbandes Schausteller und Marktkaufleute (BSM), beziffert den Jahresumsatz im LP-Gespräch auf rund fünf Milliarden Euro. Er rechnet dabei mit 600 Millionen Kundenkontakten, bei denen durchschnittlich 8,33 Euro ausgegeben werden.

Ist der drastische Umsatzrückgang ein Ausrutscher? Bei der Agrarmarkt-Informations-Gesellschaft (AMI) glaubt man das nicht. Dort ist davon die Rede, dass die Wochenmarktbranche in den vergangenen drei bis vier Jahrzehnten stark an Bedeutung eingebüßt habe. Einer der Gründe: Die Besucher haben ein relativ hohes Durchschnittsalter. Neue Kunden wachsen nur eingeschränkt nach. Das bestätigt zum Beispiel auch eine im März vorgenommene Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Yougov unter 2.925 Personen. Darin bekunden 36 Prozent der 18- bis 24-Jährigen, dass sie nie auf einem Wochenmarkt zu finden seien, im Gegensatz zu 26 Prozent bei den Menschen über 55 Jahren. Sieben Prozent der 18- bis 24-Jährigen besuchen einmal in der Woche einen Markt. Bei den 55-plus-Kunden sind es mit 15 Prozent deutlich mehr.

Natürlich spielen auch die Preisentwicklung und der Sparzwang der Verbraucher eine Rolle, wenn auf den Wochenmärkten seltener die Geldbörsen gezückt werden. Discounter und Supermärkte profitieren mutmaßlich.

Ein ähnliches Bild ergibt sich bei Hofläden. Wie die Zeitschrift „Hof direkt“ unter Bezug auf die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) zuerst berichtet hat, kauften 2023 noch 8,2 Millionen Haushalte mindestens einmal im Jahr beim Direktvermarkter ein, 3 Prozent weniger als im Vorjahr. Ausschließlich wegen des Teuerungseffektes lagen die Verbraucherausgaben 2023 auf dem Niveau von 2022.

Von einer ernsthafteren Situation der Wochenmärkte will BSM-Mann Olaf Lenz nichts wissen. Schließlich sei der Wochenmarkt als Vertriebsform „nach wie vor sehr gefragt“. Dennoch bereitet dem Verband die rückläufige Zahl der Beschicker Sorgen: 30.000 Unternehmer sind mit dem Lebensmittel-Schwerpunkt aktiv; 10.000 weitere verdienen auf Wochenmärkten ihr Geld mit sonstigen Waren des täglichen Bedarfs. Die Tendenz geht nach unten. Wie stark, das möchte der Bundesverband nicht verraten.

„LEH ist kein Konkurrent“
„Die überbordende Bürokratie schreckt zunehmend auch leistungsfähige und leistungswillige Unternehmerpersönlichkeiten ab“, klagt Lenz im Gleichklang mit Wilfried Thal. Personalmangel auch aufgrund der frühmorgendlichen Arbeitszeiten und Schwierigkeiten bei der Familiennachfolge tun ein Übriges: „Der aus der Familie stammende Nachwuchs ist vielfach nicht gewillt, den Betrieb zu übernehmen und fortzuführen.“ Dem Bundesverband Schausteller und Marktkaufleute ist bewusst: „Weniger Beschicker und ein kleineres Sortiment lassen die Attraktivität der Wochenmärkte leiden und schrecken neue Beschicker ab.“

Der Appell: „Eine sich selbst verstärkende Abwärtsspirale muss möglichst frühzeitig bekämpft werden.“ Dabei sieht Olaf Lenz den Lebensmitteleinzelhandel nicht als Konkurrenten, sondern als „sinnvolle Ergänzung“ – und glaubt sich mit ihm im selben wackeligen Boot.

Wochenmärkte und LEH profitieren voneinander

Kommentar von Thomas Klaus

Wer auf einem mobilen Wochenmarkt einkauft, lässt auch gerne im benachbarten Fachhandel ein paar Euro. Wenn ein Supermarkt oder Discounter in der Nähe ist und für den Haushalt gerade noch etwas fehlt, wird auch dieser aufgesucht. Wer wiederum bei einem Supermarkt oder Discounter etwas erworben hat und im Umfeld auf einen attraktiven Wochenmarkt trifft, kommt häufig in Versuchung und sieht sich dort ebenfalls um. Das ist Einkaufsrealität in Deutschland. Wochenmärkte und der Lebensmitteleinzelhandel können auf-
grund dieser Synergieeffekte voneinander profitieren. Gemeinsam erhöhen ein attraktiver LEH und anziehende Wochenmärkte die Qualität des Einkaufsstandortes.

Gemeinsames Leid
So betrachtet, ergänzen die beiden Akteure ihr Portfolio durch die Existenz des anderen. Sinnvollerweise muss vor Ort individuell entschieden werden, wie weit dieses Miteinander führen soll. Das ist neben den örtlichen Gegebenheiten stark von den handelnden Personen abhängig. Denn erforderlich ist ein Blick über den eigenen Tellerrand, etwas Weitsicht also. Von dieser Art des Schulterschlusses abgesehen, ist wohl auch eine Kooperation zu gemeinsamen Forderungen gegenüber der Politik nicht abwegig. LEH und mobiler Handel leiden zum Teil unter identischen Problemen – vorneweg die Bürokratielasten.